Die 25 Filme des Wettbewerbs, der Dreh- und Angelpunkt unseres Festivals, können zunächst als Kondensierung der immensen Vielfalt des gegenwärtigen deutschen Kurzfilms verstanden werden. Zusätzlich, das scheint uns als Behauptung nicht vermessen, gewähren sie einen Einblick in das Gemüt eines vibrierenden und sich selbst hinterfragenden Kulturkreises. Aus dem Fundus von eingereichten Einzelwerken, der sich jedes Jahr vergrößert, erhebt sich unsere Auswahl damit vielleicht auch als eine Art der Diagnose. Denn wer, wie es im Selbstverständnis dieser Sektion festgeschrieben ist, die Dauer als einzige Grenze der Form benennt, kann trotz oder gerade wegen der gebotenen Uneinheitlichkeit manchmal eine subtile Neigung zeitgenössischen Schaffens erahnen: Wir sehen in den diesjährigen Filmen ein immer weiter erstarkendes Bekenntnis zur Ernsthaftigkeit. Vergessen scheint der oft deklarierte Pfad zur resignativen Selbstauflösung der Kunst oder die zynisch daherschreitende Ironie aus dem Erbe des Pop. Der Kurzfilm von heute will sich einmischen, mitmachen – und von Ungereimtheiten der Wirklichkeit sprechen. Auf Kosten des Lachens, ein Angebot zum Nachdenken. – Max Richter
Deutscher Wettbewerb
Deutscher Wettbewerb I
GEGEN DEN STROM
Heimat ist ein schwieriger Begriff und wird von manchen kritisch beäugt, von anderen wehmütig gesucht. Wir werden in ein Umfeld hineingeboren, und während wir aufwachsen, entscheiden wir uns, dort zu bleiben oder streben danach, das Gewohnte zu verlassen. Oder scheitern daran.
Dieses Programm zeigt solche Prozesse: in einer Gemeinschaft aufzugehen, sie zu verteidigen oder eben auszubrechen. So erzählt der Animationsfilm »Sog« den Konflikt zweier Fraktionen bizarrer Fabelwesen, während »Eine Kneipe auf Malle« lakonisch-formale Betrachtungen über eine gewisse Partei anstellt, anhand von Archivmaterial einer Demonstration. Der Spielfilm »Ela« zeichnet die Geschichte einer jungen Frau kurz vor dem Aufbruch ins Unbekannte, gezeichnet von Unsicherheit und Abschiedsschmerz. Dagegen lässt die Dokumentation »Revue« mit ihren Momentaufnahmen von Paraden und Vereinsfesten den Zuschauer_innen die geballte Kraft des Angekommenseins. Und schließlich begleiten wir in »Das satanische Dickicht – DREI« eine Familie in eine trügerische Zeltplatzidylle, die gerne mal ins Fantastische hinüber rutscht. – Eckhard Plöttner
TERMINE
16.11.2017 · 19:00 Uhr · FILMFORUM
17.11.2017 · 16:00 Uhr · FILMPALETTE (Wdh.)
Deutscher Wettbewerb II
DIE REGELN DES SPIELS
Schon als Kinder lernen wir, dass jedes Spiel seine Regeln hat. Wir sind entweder Verbrecher oder Gendarm, beim Fangen zählt man bis zwanzig und beim Topfschlagen ruft man “Heiß!” oder “Kalt!”
Regeln sind ein Korsett, können uns aber auch Freiheit verschaffen. Gegen Regeln kann man sich aufbäumen oder sich darin fallen lassen, die Verantwortung abgeben und die Regeln das Spiel diktieren lassen. Gleichzeitig zeigen Regeln uns eine Grenze auf, an deren Überschreitung wir uns testen können. Die Filme dieses Programms zeigen Menschen, die sich zwischen diesen Polen bewegen. Die Protagonisten dieser Filmen spielen sich oder anderen etwas vor. Sie gehen in ihren Rollen auf – mal aus Selbstschutz, mal zur Freude, mal als Dienstleistung.
Nicht nur für unser Verhalten in der Gesellschaft gibt es Regeln, sondern auch dafür, wie Filme zu funktionieren haben. Der Vorspann kommt am Anfang und wenn der Abspann läuft, ist der Film vorbei – doch das gilt nicht immer. Denn auch diese Konventionen, die Regeln des Filmes selbst, hinterfragt dieses Programm. – Johannes Duncker
TERMINE
16.11.2017 · 21:00 Uhr · FILMFORUM
17.11.2017 · 21:30 Uhr · FILMPALETTE (Wdh.)
Deutscher Wettbewerb III
DER TRAUM GEHT WEITER
Verletzungen und Narben erinnern an vergangenen, erlebten Horror. Flucht und Migration als Reaktion auf Armut, Krieg, Zerstörung, Grausamkeit und Folter. Auch über 50 Jahre nach „I Have A Dream“ sind die Dinge nicht im Lot. Der Marsch, auf dem Martin Luther King seine berühmte Rede hielt, verband den Kampf für soziale Gerechtigkeit untrennbar mit dem für Bürgerrechte. Alte Formen der Diskriminierung bestehen weiter und kapitalistische Modernisierung bringt neue hervor. Widersprüche werden immer größer, Fassungslosigkeit, Angst und Verbitterung machen sich breit. Der Traum ist aus? Keineswegs. Er harrt weiter der Verwirklichung. Sich Konflikten stellen, seinen Platz finden, aus Konformität und Enge ausbrechen, eigene und fremde Erwartungen überwinden, Vorstellungen von Aussehen, Rolle und Gender aufheben und das Bedürfnis nach persönlicher Freiheit ausleben. Am Ende siegt die Hoffnung und alle teilen den gleichen Traum. Vereint in der Suche nach einem Ort, an dem man sicher und frei sein kann. – Nicole Rebmann
TERMINE
17.11.2017 · 19:00 Uhr · FILMFORUM
18.11.2017 · 16:00 Uhr · FILMPALETTE (Wdh.)
Deutscher Wettbewerb IV
PERSPEKTIVENWECHSEL
»The contradiction in perspective was that it structured all images of reality to address a single spectator who, unlike God, could only be in one place at a time.« John Berger
Dieses Programm lädt ein, sich auf widersprüchliche Perspektiven einzulassen. MY CASTLE, YOUR CASTLE betont die Macht historischer Perspektiven. Identität wird neu in Szene gesetzt, und so auch unsere Gebäude. Geschlossene Gesellschaft: drinnen sein, nach draußen schauen. Oder andersrum? Im Stil des übernatürlichen Horrors der 70er erzählt DER HERMETISCHE ZIRKEL von einer Ausreißerin, die in den Bann einer New-Age-Sekte und ihres Führers gerät. (Fernseh-)Schnee von gestern. Zwischen Licht und Rausch entsteht KEEP THAT DREAM BURNING. Das Zusammenspiel von Ton, Licht und Bild wird gedehnt, provoziert und moduliert. Suchen, Beobachten, Anvisieren – Wer oder was beobachtet uns? FIND FIX FINISH zeigt vertraute Bilder aus einer fast malerischen Vogelperspektive – und doch beunruhigt uns da etwas. Drohnenpiloten erzählen über ihre Arbeit. Eine einseitige Beziehung, die nur einem einzigen Zweck dient … In UGLY leben eine einäugige Katze und ein Spirit Chief in einem dystopischen Paradies. Die Hässlichen werden an den Rand gedrängt, aber der Spirit Chief hat seinen Soulmate gefunden – Schönheit liegt eben doch im Auge des Betrachters. – Jennifer Jones
TERMINE
17.11.2017 · 21:00 Uhr · FILMFORUM
18.11.2017 · 21:30 Uhr · FILMPALETTE (Wdh.)
Deutscher Wettbewerb V
LEBEN LASSEN
Die Möglichkeit, den Tod – diese endgültige und unmittelbare Entgrenzung des Seins – in die Rahmen des Lichtbilds einzuschreiben, strahlt seit Anbeginn des Kinos eine erschütternde Faszination auf seine Akteure aus. Dieser Block begleitet gegenwärtige Versuche, die empfundene Unzeigbarkeit schwindenden Lebens einer visuellen Darstellung zu unterwerfen: anfänglich als dezenter Verweis, der im Opferritual archaischen Anstrichs den Eintritt in die Mündigkeit sucht oder bei obskuren Ereignissen in der Nacht – jener Schattenzeit des Lebens – die Pforten des Weltlichen zu streifen wagt. Im Verlauf, in der Begegnung mit der Frage nach Deutungshoheit, entwickeln sich Reflexionen zur Macht des Leben-Lassens und des Leben-Nehmens – vor Gericht, am Abzug, hinter der Kamera. Vielleicht, mit dieser Überlegung scheint der Block zu schließen, liegt die Faszination des Todes für den Film auch weniger im Zeigen als in der Gewalt des Aufzeichnens – in der Sehnsucht danach, an einem Leben, das war, virtuell festzuhalten. – Max Richter
TERMINE
18.11.2017 · 21:00 Uhr · FILMFORUM
19.11.2017 · 15:00 Uhr · FILMPALETTE (Wdh.)